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Marathon-Gedanken

Es ist Nacht, die Vorhänge in meinem Hotelzimmer sind nicht ganz zugezogen und erlauben so einen kleinen Ausblick in das Dunkel der Nacht, die sich wie ein schwarzer Schleier über Berlin gelegt hat: Was sagt mir der Wecker, der fast immer gnädig etwas später klingelt? Erst 4Uhr morgens, es sind noch 5 Stunden bis zum Start, ich sollte doch noch einmal versuchen zu schlafen, – nein -, jetzt noch schlafen, dass konnte ich doch noch nie vor einem Marathon, wie komme nur darauf es jetzt zu können. Ich muss ruhiger werden, meine Augen wandern durch den etwas lieblos eingerichteten Raum. Ein Nachtschränkchen neben mir darauf der große Wecker, dessen gleichmäßiges Tick- Tack sich mit meinem Herzschlag zu vereinigen scheint. Ein schlichter Schrank in der Ecke, der sich vor meinem geistigen Auge in ,, Den Mann mit dem Hammer“ zu verwandeln scheint.

Beim letzten Marathon habe ich ihn erst bei Kilometer 40 gesehen. Kilometer 40, wie wird es mir wohl heute gehen? Ich versuche ganz ruhig zu bleiben. Tick- Tack, die Zeit schleppt sich voran, es kommt mir vor, als ob die Zeiger meines Weckers festgenagelt währen. 4 Uhr 10, erst zehn Minuten, ich hätte schwören können, dass ich schon mindestens eine Stunde wach liege. Es ist doch immer das Gleiche, nachher beim Wettkampf läuft mir die Zeit davon. Ich versuche mich zu entspannen, schließe die Augen, ruhig senkt und hebt sich mein Brustkorb, 48 Schläge in der Minute mein Herz schlägt ruhig , längst hat es sich vom 60er Takt meines Weckers wieder gelöst, alles läuft auf Sparflamme. Da sind sie wieder, Beine- tausende von Beinen, ich finde mich unter einem Heer von Läufern wieder.

Wie ein riesiger Lindwurm schlängeln sich die Menschenmassen dichtgedrängt an Häuserfronten vorbei, von überall ertönt Musik es ist aufregend dabei zu sein. Ich laufe in einem Pulk von ungefähr zehn Läufern, eine Frau ist dabei- eine Frau? Manchmal frage ich mich wie eine Frau, so zierlich und zart gebaut, soviel Power haben kann.

Ich höre den Atem der neben mir laufenden Athleten. Gesichter von klatschenden Zuschauern fliegen an mir vorbei, ich kann mir nicht eines davon merken. Ich verspüre plötzlich Durst, unbeschreiblich Durst, mir ist als ob ich austrockne. An einem Laternenmast erblickte ich ein Schild: Elektrolyt und Wasser Zweihundert Meter, `Ich versuche mich einzureihen und nach einem erlösenden Becher mit Wasser zu greifen. Jetzt kommt es aufs Timing an. Ein Tisch mit hunderten von Bechern nähert sich in Windeseile, ich nehme den letzten, ja den letzten Becher. Meine Schritte werden kürzer, ich muss dribbeln, hinter mir hörte ich jemanden fluchen: Pass doch auf, man eine Hand berührte mich an der rechten Schulter, jetzt, ich greife zu und erwische den nur halb mit Wasser gefüllten Becher. Es geht weiter.

Gierig schütte ich dass kühle Nass in mich hinein, ich verspüre eine angenehme Kühle in mir, doch plötzlich, was ist den nur los, ich bekomme keine Luft mehr, ein Teil des Wassers hat wohl den falschen Weg genommen und ist in meine Lunge gelangt. Mir wird schwarz vor den Augen. Mir ist als müsse ich mich übergeben. Ich kann nicht mehr locker laufen. Hilfe, nicht jetzt ! Wofür hab ich Monatelang trainiert, dass kann es doch nicht gewesen sein? Ich bekomme Seitenstechen, meine Bauchmuskulatur schmerzt, es ist aus. Nein aussteigen, ich bin doch noch nie ausgestiegen- der Schweiß rinnt mir in die Auge, es brennt fürchterlich. Ich sehe die Zuschauer nur noch schemenhaft, wie Statuen stehen sie Spalier als wollten sie mir den Weg weisen, denn endlos langen Weg. Es wird schwarz.

Ich mache die Augen auf. Tick- Tack, Nass geschwitzt liege ich in meinem Bett. Habe ich geträumt? –Ja, ich hatte geträumt. Gott sie dank` wieder einer von diesen fürchterlichen Träumen, die mich seit Wochen in ihren Bann halten und immer wieder Selbstzweifeln in mir keimen lassen. Habe ich genug trainiert? Bin ich genug lange Strecken gelaufen? Nicht zu schnell, nicht zu langsam? Wie ist es mit meinem Gewicht? Könnte es nicht doch etwas weniger sein? Man sagt ja pro Kilogramm Eine Minute schneller. – wer sagt das überhaupt? Alles Quatsch, ich muss hier mein Ding machen, es wird schon gut gehen.

Ich schaue zum Wecker, mein Gott, 7 Uhr 30, bin ich doch tatsächlich noch einmal eingeschlafen, jetzt aber raus. Ein blick aus dem einen spalt geöffneten Fenster sagt mir, es wird ein schöner Tag. Der schwarze alles verhüllende Schleier ist einem strahlend blauen Himmel gewichen und hat dies pulsierende Stadt zu neuem Leben erweckt. Ich halte noch mein noch schlaftrunkenes Gesicht an den Fensterspalt und kann Berlin schmecken. Es schmeckt nach Abgasen gemischt mit betörenden Düften irgendwelcher Damen von Welt. Es riecht nach Geld, Hektik, Reichtum und nach Armut zugleich. Eine Geräuschkulisse aus quietschenden Reifen, Hupen und Hundegebell dringt an mein Ohr. Heute bist du für ein paar Stunden meine Stadt, -denke ich und ein mächtiges Selbstbewusstsein durchflutet meinen bis in die Zehnspitzen motivierten Körper. Ich gehe ins Badezimmer, über einen Stuhl neben dem Waschbecken liegen meine Laufsachen darunter die Schuhe. Soll ich noch schnell duschen, nein keine Zeit mehr es ist 7 Uhr 45, Ich muss spätestens um 8 Uhr beim Einschecken sein.

Frühstück fällt heute aus, ich werde in der U- Bahn eine Banane essen. Das Leitungswasser vertreibt die letzte Müdigkeit aus meinem Gesicht: Innerlich gehe ich noch einmal alle Körperpartien durch, alles okay. Ich fühle mich gut: Denke ich und in mir fällt dabei der Song von Ideal ein, ; Ich fühle mich gut ich steh auf Berlin. Vielleicht wird dieses Lied mich heute über die Marathondistanz begleiten. Das Laufhemd schmiegt sich sanft an meinen Körper die vorn angebrachte Startnummer 478 erinnert mich daran, dass es heute ernst wird, kein Training sondern Wettkampf, heute will ich das ernten, was ich in zehn Wochen zuvor mir in unzähligen Trainingskilometern angeeignet habe. Jetzt in die Laufhose rein, alles sitzt.

Ich kehre noch einmal in mich, beim Schnüren der Laufschuhe alle Konzentration. Die Schleife muss fest genug sein, dass sie sich nicht lösen kann. Ich habe panische Angst davor, es könnte sich ein Schuhband lösen und ich müsste anhalten und würde viel Zeit verlieren. Komisch, es ist mir noch nie passiert, aber ich glaube da hat wohl jeder Läufer seine Eigenarten sich mit dem Wettkampf auseinander zu setzen. Jetzt noch den Trainingsanzug, alles klar.Ich hänge mir den Marathonbeutel in dem ich meine Kleidung danach aufbewahre um und verlasse mein Hotelzimmer. Schon auf der Treppe zur Rezeption begegne ich anderen Menschen die gekleidet in Trainingsanzügen sich als Marathonläufer verrieten. Man sagt kurz: Morgen` sonst nichts. Ich merke, wie ich begutachtet werde und selbst auch versuche mir ein Bild von dem Mann Mitte 40 zu machen, der trotz Trainingsanzug nicht sportlich aussieht. Hat wohl 10 Kilogramm zu viel. Na ja, ist wohl sein erster Marathon, denke ich und werde wieder sehr selbstsicher, habe ich doch 5 Kilo unter Idealgewicht, was soll da noch schief gehen.

Der Herr an der Rezeption nimmt meinen Schlüssel entgegen und wünscht mir alles Gute. Als ich nach draußen auf die Straße trat, rief er mir noch etwas auf Italienisch nach, was ich aber nicht verstand. Durch die Unterführung geht es zur U- Bahn, ich habe Glück es kommt gerade ein mit Trainingsanzügen total überfüllter, stählerner Strang herangebraust. Das Quietschen der bremsen zeigt mir an, dass er trotz Überfüllung doch noch anhält, um noch mehr Menschenmassen aufzunehmen. Nach dem der Zug endlich stillsteht, trete ich heran und öffne einer der Türen.

Ein Geruch von Franzbranntwein, Knoblauch, diversen Salben und Muskelfluide strömt mir entgegen. Ich zwänge mich in eine Ecke des Waggons und blicke mich um. Es ist schon interessant zu sehen, wer den alles so läuft, da gibt es den hageren, langen Sportler, den ich so auf eine Zeit um 2,50 schätzen würde, oder den untersetzten etwa Dreißigjährigen, den ich keine Kategorie einschätzen kann.

Mit einem Pfeifton vom Schaffner spüre ich, dass sich der Zug leise krächzend unter der menschlichen Last in Bewegung setzt. Wir tauchen in ein dunkles Loch aus Beton ein, es ist merkwürdig still im Abteil, jetzt läuft der Countdown. Nach kurzer Zeit sind wir an den Messehallen. Die Bremsbacken der U-Bahn beißen sich in die Schienen, mit durchdringendem Quietschen verringert sich die Geschwindigkeit bis zum Stillstand. Die Türen öffnen sich automatisch und alle haben es jetzt urplötzlich sehr eilig. Aus der erdrückenden Stille ist jetzt hastiges Treiben geworden. Ich schließe mich einer kleinen Gruppe an und wir begeben uns zum Ausgang. Auf der Rolltreppe ach oben, höre ich Musik aus Lautsprechern, dazwischen den Aufruf irgendeines Verantwortlichen sich Einschecken zulassen und das es noch fünfzig Minuten bis zum Start sind. Aus allen Richtungen strömen sie nun heran, Läufer soweit das Auge riecht und ich denke: wo ist sie geblieben, die Einsamkeit des Läufers.

Ich denke an die langen Trainingsläufe über Wald und Feld, die auch kleine Fluchten aus meinem tristen Alltag waren, an die vielen Runden bei Wind und Regen, bei denen ich nicht einmal einen Hund vor Die Tür geschickt hätte. An die harten Tempoeinheiten, die mir immer alles abverlangten und mich doch mit innere Zufriedenheit belohnten. Es ist schon merkwürdig, zuhause ist man der große Außenseiter und hier beim Marathon kommt es mir vor, als würde Berlin nur aus Läufern bestehen.

Ein lautes Knacken in den Lautsprechern holt mich wieder in die Realität zurück; noch vierzig Minuten bis zum Start; ich muss mich beeilen um meine Sachen noch loszuwerden. Vor dem LKW Anhänger mit den Ziffern 0 bis 500 bleibe ich stehen. Letzte Vorbereitungen sind nun zu treffen Ich lege mir die Armbanduhr an und kontrolliere noch einmal alle Funktionen, alles in Ordnung.

Nun noch einschmieren mit Vaseline um keine Scheuer-stellen zu bekommen die sehr schmerzhaft sein können. Aus den Lautsprechern Hämmert es; Noch dreißig Minuten bis zum Start, bitte Einschecken; Die beiden freundlichen Helfer auf dem LKW nehmen mein Beutel entgegen und legen ihn zu unzähligen anderen und ich denke mir welches Systeme die beiden wohl haben, um nach dem Marathon genau den selben Beutel wieder zu finden.

Gegenüber den Messehallen reiht sich Toilette an Toilette und jede einzelne wird von zwanzig bis dreißig wartenden Läufern und Läuferinnen belagert, ich verschwinde kurzerhand in den nächsten Büschen um noch ein kleines Geschäft zu tätigen. Jetzt geht es zum Einschecken. An vielen tausenden Marathoni vorbei bahne ich mir einen Weg nach vorn, endlich ich sehe einen grünen Ballon an einer Schnur etwa zwei Meter über den Köpfen schwebend das ist mein Block. Dort angekommen schiebe ich mich durch einen schmalen Durchgang und tauche in die Gruppe der Läufer unter drei Stunden ein. Verschlungen von dichtgedrängten, durchtrainierten Körpern merke ich, dass es jetzt wohl ernst wird. Ich orientiere mich zur Mitte der Straße und arbeite mich nach vorne um eine gute Startposition zu bekommen. Es riecht nach allen möglichen Balsamen und Wässerchen. Etwa 150 Meter über uns dreht ein Helikopter mit ohrenbetäubendem Lärm seine Kreise um dem Kameramann ein optimales Blickfeld zu verschaffen.

Aus den Lautsprechern ertönt unüberhörbar; Noch fünfzehn Minuten bis zum Start! Die sonne steht mittlerweile hoch am Himmel und ich denke an meinen Traum von heute morgen; Nein ich werde nicht den Fehler machen und zu spät trinken, ich bin doch kein Anfänger. Die Luft die mich umgibt, wird aufgeheizt von der Körperwärme unzähliger Läufer immer wärmer.

Ein bedrückendes Gefühl begleitet von Nervosität macht sich in mir breit, wann geht es endlich los. Es ist als ob tausend Pferde in mir schlummerten und kaum noch zu halten währen, ich werde unruhig. Ein Läufer neben mir holt mich in die Wirklichkeit zurück. Wie lang ist es noch bis zum Start? Ich schaue etwas verstört auf meine Uhr, die Stopuhrfunktion war schon eingestellt, mit verstörtem Blick schaue ich ihn an, doch bevor ich etwas sagen konnte ertönt eine elektronisch, verstärkte Stimme; Noch fünf Minuten bis zum Start! Wortlos lächeln wir uns an.

Ich schaue zu den Einscheckstellen an den immer noch reges Treiben herrscht. Da versuchen aufgeregte Sportler sich noch Einlass zu verschaffen, die sind wirklich spät dran, denke ich. Mit wohltuender Zufriedenheit stelle ich fest, dass ich bis dahin alles routinemäßig richtig gemacht habe. Ich richte meine Augen nach vorn, dort sehe ich die Spitzenläufer, wer wird wohl gewinnen? Ob die auch ein bisschen Nervös sind? Egal, ich laufe mein eigenes Rennen; Berlin du gehörst jetzt mir! Noch eine Minute bis zum Start! Die Sekunden vergehen. Geh nicht zu schnell an, hämmert es in mein Schädel, nur nicht stürzen, zwölftausend Läufer drängen sich im Startbereich und ich bin dabei, Körper an Körper wartet jeder Einzelne auf den erlösenden Startschuss.

Noch zehn Sekunden bis zum Start. Meine Schuhe, habe ich meine Schleifen festgezogen, ich kann nicht mehr kontrollieren. Fünf, vier, drei, zwei, eins, Schuss! Die Erlösung, es geht los, alle Nervosität ist von mir gewichen auf den ersten Metern muss ich mir mit den Armen Respekt verschaffen, auf den ersten Metern von 42,195 Kilometern. Kapitel Nr.1

Geschrieben von Schroeder am 23. Mai 2015