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Bauernhochzeit

Umgeben von tiefsten, grünen Nadelwäldern und schneeverhangenen Bergen befand sich im Osten Frankreichs das kleine Dorf St. Lorent.

Die 150 Einwohner versorgten sich durch Landwirtschaft, Tierzucht und Holzfällarbeiten, welche gerade einmal genügend Geld zum Leben einbrachten, da die hohen Steuerabgaben an den König sie zu einem sehr bescheidenem Dasein zwangen. Alle Bitten und Depeschen durch Boten blieben erfolglos, von „aufrührerischem Gesindel“ ließ sich die Regierung nicht beeindrucken, so die harte Antwort des Hofes in Paris. Die arme Landbevölkerung und auch die anderen Bewohner Frankreichs mussten sich den strengen Gesetzen ihres Herrn beugen. Doch an diesem warmen Frühlingsmorgen gerieten die Sorgen der Menschen von St. Lorent ein wenig in den Hintergrund, denn die Hochzeit von Marie, der Tochter des Schmiedes, und Jaques, dem Sohn des Müllers, stand bevor. Seit einer Woche wurden emsige Vorbereitungen getroffen, die Mädchen schmückten die alte Dorfscheune, welche sonst Platz für Versammlungen bot, mit Blumengirlanden, alle älteren Frauen backten Quiche, Fladenbrote, rupften Gänse und füllten, den in Kellern gelagerten Likör, in Karaffen um. Einige der jungen Männer zimmerten Bänke und Tische für das Fest und eine heitere Stimmung lag über dem Dorf. An diesem Morgen fuhren die Väter der Verlobten mit der Kutsche in den größeren Nachbarort, um den Pfarrer für die Trauung abzuholen, denn St. Lorent war so winzig, dass es nicht einmal eine eigene Kirche besaß. Während dessen wurde Marie von ihrer Mutter, Madame Jeunet, und Sophie, ihrer jüngeren Schwester in das Brautkleid gehüllt und frisiert. „Du siehst wunderschön aus“, seufzte Sophie und blickte mit großen Augen auf das selbstgenähte, weiße Kleid. „Jaques wird sehr glücklich mit dir“, lächelte ihre Mutter und zupfte ein paar Falten des Stoffes glatt. Marie strahlte, als sie sich vor dem Spiegel im Schlafzimmer drehte. „Mein Herz klopft so wild, ich glaub`, es will gleich zerspringen vor Glück.“ Ein kleiner Junge mit zerstruweltem Haar schaute neugierig zur Tür hinein. „Es ist alles fertig vorbereitet, Maman“, er grinste und eine Zahnlücke wurde sichtbar. „Michel, wie siehst du denn schon am frühen Morgen wieder aus? Dein Gesicht ist ganz schmutzig.“ Sophie legte den Kamm auf die Kommode, ging zu ihrem Bruder und zog ihn, unter Protesten, zur Waschschüssel. „Augen zu..“ „Aua..“ Der grobe Leinenlappen wirbelte durch sein Gesicht. „Jetzt aber schnell“, mahnte Madame Jeunet und half Marie vorsichtig mit dem Brautkleid aus dem Zimmer in das untere Geschoss zu gelangen, Sophie und Michel eilten hinterher.

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Das gesamte Dorf wartete geduldig in der großen, geschmückten Scheune auf die Braut und ihre Familie, Jaques stand erwartungsvoll am Altar, denn vor einer halben Stunde waren die Väter mit dem Pastor eingetroffen. Monsieur Jeunet nahm seine Tochter stolz vor dem Haus in Empfang und geleitete sie den kurzen Weg, ihnen folgten seine Frau, Sophie und Michel…
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„Die Trauung hat mich zutiefst berührt…“ Jaques Mutter tupfte mit einem bestickten Taschentuch Tränen aus ihren Augen und drückte Madame Jeunets Hand. „Es war wirklich eine sehr schöne Zeremonie,“ erwiderte diese, als der Pfarrer den Brauteltern gratulierte. Im Hintergrund begannen langsam einige junge Männer Instrumente aufzubauen und schon wenige Minuten später wurden zum Tanz mit Fideln, Lauten, Tamburinen und einer Drehleier aufgespielt. Viele Gäste ließen sich vom verlockenden Klang der Musik betören, andere wiederum labten sich an den duftenden Speisen, welche auf langen Tischen an den Wänden der Scheune aufgetragen wurden. Das frisch vermählte Paar erhielt Glückwünsche und kleine Geschenke für den gemeinsamen Hausstand. Jaques und Marie tanzten, umgeben von ihren Familien und Freunden, in den Abend hinein, berauscht von Glück. „Mein Augenstern..“, murmelte er seiner Liebsten ins Ohr, sie lächelte und schmiegte sich an ihn. Als es Zeit für die Trinksprüche der beiden Väter wurde und man mittlerweile auf den vielen Bänken Platz genommen hatte, zogen zwei Freunde Jaques Marie von ihrem Stuhl, während ein dritter ihn ablenkte. Vor der Scheune verbanden sie ihr die Augen und unter Juchzen und Lachen ging es in Richtung Wald. „Brautentführung“…Michel stürmte grinsend auf Jaques zu. „Du musst Marie wieder finden und einen Pfand bezahlen, sonst bekommst du sie nicht wieder..“ Der Kleine schien sich, angesichts seiner wichtigen Rolle, sehr wohl zu fühlen. Madama Jeunet lachte. „Immer diese Traditionen…es ist nicht anders, als bei meiner Hochzeit.“

„So Marie, hier solltest du warten, bis dich dein Mann wieder findet…aber lass die Augenbinde an…du darfst nicht mogeln und ihm entgegen gehen…“ Sie roch Grün und vermoderte Blätter, der Wind wehte leise und die Schritte der beiden jungen Männer entfernten sich langsam.
Mit ausgestreckten Armen tastete sie ein wenig ihre Umgebung ab, sehr weit außerhalb des Dorfes konnte sie sich nicht befinden, sie waren höchstens zehn Minuten gelaufen. Es fröstelte sie ein wenig in diesen frühen Abendstunden und sie wünschte, Jaques würde ihren Umhang mitbringen.
Ein Knacken ließ sie herum fahren.
„Jaques..“
Keine Antwort, nur das Rascheln des Laubes. Eine leichte Brise kam auf und verwirrte das kunstvoll geflochtene Haar. Sie sog erfrischende Wogen durchsichtigen Nichts ein, als sie ein Schauer überkam. Marie wollte nur noch zurück zu den Anderen, in die Scheune, in Sicherheit. Blätter wirbelten an ihr vorbei, der Wind frischte auf, als sie versuchte, diese scheußliche Augenbinde abzulegen. Die Angst hämmerte in ihrem Kopf, all ihre Sinne schienen zu schreien, mit bleischweren Schritten schlich sie in eine Richtung, konnte die Verhüllung ihrer Augen abdecken und stand plötzlich wie hypnotisiert vor Jemandem… „Nein..“, schien sie laut zu rufen. `Ein Traum…`Sie bemerkte wie sie eine schwere Müdigkeit überkam und ein Schleier von Dunkelheit bedeckte ihre Wahrnehmung.

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Das Kleid schimmerte hell und glänzend im Mondlicht, ihr Antlitz weiß und in ewigen Schlaf gehüllt, die Haare wirr und lang, so stand Jaques mit seiner leblosen Braut auf den Armen am Rande des Waldes, fassungslose Gesichter betrachteten dieses Schauspiel und konnten nicht glauben, was sie sahen…

Geschrieben von Tomas am 8. Juni 2012