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Kinder

Sie hörten die Kinder im Treppenhaus spielen. Im Wohnzimmer saßen die Freundinnen, tauschten den neuesten Tratsch aus, lachten darüber. Irgendwo im Haus fiel ein Gegenstand zu Boden. Es klirrte einmal. Es schepperte zweimal. Ein winziger Schrei. Ihre Freundin warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Wann war es schon einmal vorgekommen, dass ihre Kinder nicht etwas hätten zu Boden gehen lassen? Noch nie, sie gewöhnte sich dran. Meistens war es ohnehin ein guter Vorwand, neue Deko shoppen zu gehen. Schweigend eilten sie die Treppe hoch, in der Hoffnung, dass sich keins der Kinder verletzte hatte. Sie erreichten den langen Flur und betrachteten mit einem Seufzer das Dilemma. Der Kleinste verschwand mit einem schuldbewussten Schluchzer ins Badezimmer, den Kopf gesenkt, zog die Tür hastig hinter sich zu. Die schöne Vase, dachte sie sarkastisch. „War es wertvoll?“, fragt das Mädchen vorsichtig. „Ja“, murmelte ihre Mutter. Sie wusste, dass die Vase ein Erbstück gewesen war.

Damals war es das Einzige gewesen, das sie von ihrer Großmutter bekommen hatte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern, warum sie sich so heftig gestritten hatten. Damals. Zumindest war es schlimm genug gewesen, sie vom Millionenerbe auszuschließen. Und von jeglichen an sie persönlich gerichteten Worte. „Es wird dir Leid tun, dich nicht entschuldigt zu haben“, hörte sie noch die Worte ihrer Großmutter, klar und deutlich. Sie wusste nicht einmal, was ihr hatte leid tun sollen. Sie atmete tief durch. Vorbei war vorbei. Wie auch immer – die Vase war kaputt, die letzte materielle Erinnerung fort.
Vielleicht war es besser so. Die Vase hatte ohnehin nur Melancholie ausgelöst. Sie war von so schlechter Qualität gewesen, dass sie sogar aussah, als wäre sie schon einmal zerbrochen gewesen und wieder zusammengeflickt worden. Ihre Freundin ging, um einen Besen zu holen. Langsam sammelte sie die Scherben auf. Reparieren ist zwecklos, dachte sie.

Sie sah Kratzer in der Innenseite. War sie vielleicht tatsächlich schon einmal zerbrochen? Kopfschüttelnd nahm sie die größte Scherbe in die Hand und betrachtete die seltsamen Muster als hätten sie ein Schema. Made in China, dachte sie noch, dann entzifferte sie die Worte. Es tut mir Leid. Oma.

Geschrieben von Janina am 31. Oktober 2013