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Kopf oder Zahl?

Zwei gehen denselben Weg. Man hieß sie losgehen und schickte sie fort. Aber das Ziel wissen sie nicht. Immer streiten die zwei sich, sie können sich nicht vertragen. Doch sind sie Geschwister, die einander nicht verlassen. Einer ist groß und drahtig, schnell kann er alles überblicken.
Wie ein Ritter auf seinem Roß. Der andere ist klein und anmutig, gewandt, aber leicht ablenkbar, gleich einem Schmetterling. Einer ist realistisch, vernünftig, redegewandt. Er trifft keine unbedachten Entscheidungen. Er liest die Landkarte und die Fahrpläne, er fragt nach dem Weg, er denkt an Wetter und Tageszeit, an Geld und Sicherheit.

Er ist diszipliniert, manchmal sogar hart, gegen sich, gegen andere. Er will gerecht sein: Was für sich gilt, gilt auch für andere. Er will geachtet sein und beherrscht alle Fertigkeiten des gesellschaftlichen Lebens. Er trägt sein Gesicht wie eine Maske, die nicht so leicht zu durchschauen ist. Der andere ist ein Tänzer, ein Gaukler zuweilen. Er hat viele Masken in seinem Rucksack, aber nur selten trägt er eine, und wenn, dann nur zum Spiel. Er ist leidenschaftlich, erlebt alles zum ersten Mal und hält sich nicht lange mit Förmlichkeiten auf. Entscheidungen trifft er nicht durch Überlegen, sie fallen ihm ein, und seine Schritte sind sicher und leicht. Spricht er, so ist es ein Erzählen. Fragt er, so sucht er nach Möglichkeiten, nicht nach Gewissheiten. Manchmal ist er laut und lebenslustig, zuweilen aber auch still und in sich gekehrt.

Doch sind seine Sinne allzeit offen, und seine Wege sind verschlungen, Umwege in den Augen seines Bruders. Diese zwei gehen denselben Weg, müssen es, sie brauchen sich und können ohne einander nicht sein. Von Geburt an sind sie miteinander verbunden, wie Geschwister, ja, wie Zwillinge. Doch die Blume, die sie am Wegesrand sehen, ist nicht dieselbe, und stehen sie vor einer Weggabelung, dann sieht man sie eine Münze werfen: Kopf oder Zahl?

Geschrieben von Mirco am 31. Juli 2012